Und Jetzt ? Ein Gastbeitrag von Marlene Sørensen über das Altern und Leben mit 40

Altern ist eine konstante Überraschung. Ich war beispielsweise einigermaßen verblüfft als ich vor kurzem im Duty-Free von der hilfsbereiten Verkäuferin ans Anti-Aging-Regal verwiesen wurde, ohne spezifisch danach zu fragen. Ebenso erstaunlich, wie die Haut meiner Hand im Vergleich zu der Haut meines neunjährigen Sohnes aussieht, denke ich, wenn seine Hand in meiner liegt. Wie eine trockene Baumrinde neben einem zarten Sprössling. Gewundert habe ich mich neulich auch, dass ich auf Fotos nun tatsächlich aussehe wie meine Mutter.

 

Wie alt bin ich mit 44 wirklich?

Dazu muss ich sagen, dass ich meine Mutter für ausgesprochen schön halte. Es ist paradox, dass ich das über sie feststellen kann – und es mir doch zu schaffen machte, als ich in meiner Frisur, im Übergang vom Hals zum Kinn oder in den Mundwinkeln plötzlich sie in meinem Alter erkannte. Das kann daran liegen, dass sie mir mit 44 alt vorkam. Allerdings: Als sie 44 war, war ich 21. Alles jenseits der 25 kam mir alt vor. Möglich auch, dass meine Verwunderung über mein eigenes Aussehen darin begründet ist, dass ich, wenn ich mit ihr zusammen bin, für immer das Kind sein werde. Fragt sie mal, was sie davon hält, dass ich zerrissene Jeans trage.

Mit 44 bin ich also irgendwo zwischen Kind und alt. Was chronologisch betrachtet hinkommt, aber trotzdem verwirrend ist. Und nicht nur, weil es heutzutage nicht außergewöhnlich ist, wenn eine 44-Jährige zerrissene Jeans trägt, egal, was Mama meint. Denn auch sonst hat sich einiges verändert: Die Menschen werden immer älter und die Lebensläufe sind nicht mehr so gradlinig wie einst. Daraus ergeben sich viele Möglichkeiten, wie man aus der mutmaßlichen Halbzeit weitermacht, aber auch viele Fragen.

 

Altern passiert lange gar nicht – und plötzlich sind Ansatzsprays ein Thema

In meinem Buch „Und jetzt?“ habe ich versucht, einige dieser Fragen zu beantworten. Das Buch handelt von einigem mehr als davon, wie sich mein Gesicht verändert. Und doch hat das Kapitel, in dem ich über mein Verhältnis zu meinem Aussehen schreibe und darüber, wie alternde Frauen in der Gesellschaft betrachtet werden, mich die längste Zeit gekostet. Ich war mir lange unschlüssig, wie ich mich sehe, seit das Alter in meine Augenpartie, meine Stirn, meine Lippen eingezogen ist. Die wahrscheinlichste Erklärung, warum mich diese äußeren Anzeichen meiner fortschreitenden Jahre so überraschen, ist vielleicht die: Ich dachte, ich hätte noch mehr Zeit, mir zu überlegen, was mit grauen Haaren zu tun ist und wie ich zu Botox stehe. Worin ich mir dagegen sicher bin, ist, dass Altern ganz lange gar nicht passiert – und mit einmal sind Ansatzsprays und Nervengift ein Thema.

Bezeichnenderweise macht mir die Veränderung in anderen Aspekten rein gar nichts aus. Ich begrüße sogar, dass ich durch die gesammelte Lebenserfahrung gelassener denn je bin, lauter für meine eigenen Bedürfnisse sprechen kann, oder inzwischen eine Selbstgewissheit habe, die nicht so leicht zu erschüttern ist. Bei einer meiner Lesungen zu „Und jetzt?“ wurde ich, nicht ganz im Ernst, gefragt, ob mit 40 die guten Jahre vorbei sind. Nein, sagte ich, und nicht nur, weil mein Buch sonst ein trauriges wäre, sondern aus Überzeugung. Denn mir fiele nicht ein, in welchem Alter ich stattdessen nochmal sein möchte. 18? 27? 35? War auch alles vollkommen in Ordnung. Aber besser? Ich würde lieber jetzt eine gute Zeit haben, statt allzu sehr zurückzublicken.

 

Im Alter scheinen Frauen nur zwei Optionen zu haben: Sich gehen lassen – oder ins Gesicht eingreifen

Andererseits: Vielleicht nützt so ein Rückblick doch. Denn was ich dabei erkenne, ist, warum man überhaupt auf die Idee kommen kann, die beste Zeit des Lebens läge bereits hinter einem. Mir wurde in den letzten 30 Jahren jedenfalls kaum gezeigt, ob in Magazinen, auf Werbeplakaten oder über Bildschirme, dass sichtbares Altern etwas Erstrebenswertes ist. Vorbildlich galt stattdessen, den Status Quo zu erhalten – die weißen Haare zu färben, die schlaffe Haut zu straffen, die Falten zu minimieren. Schönsein, so der Konsens, gleich Jungsein. Wer dagegen altert, verschwindet.

Rein anekdotisch fällt mir dazu die Unterhaltung ein, die ich vor kurzem zwischen drei Frauen in einem Podcast hörte. Die Älteste, knapp 50, teilte die Überzeugung, dass auch viel Gutes daran sei, unter dem Deckmantel des Alters unsichtbar zu werden. Es sei wie Magie: Man wird, wenn man nicht viel mehr veranstaltet als Haare kämmen, Zähne putzen und Leggings anziehen, von der Welt schlicht nicht mehr beachtet. Wie angenehm, sagte sie, im Vergleich zu den Jahrzehnten zuvor, in denen sie, allein durch ihr Frausein, viel ungewollte Aufmerksamkeit bekommen hatte. Ein paar Tage später dann sah ich auf Instagram ein Zitat, das in meinem Umfeld nur von Frauen und oft zusammen mit dem vor Lachen heulenden Emoji geteilt wurde: „The older you get, the uglier you are willing to go out in public.“ Je älter man wird, desto größer die Bereitschaft, in der Öffentlichkeit hässlich zu sein.

Bloß Rumgeflachse auf Social Media, kann man meinen, doch was nachhallt, ist, dass Altern unansehnlich ist. Das Aussehen ist nur ein Bereich, in dem vor allem Frauen mit zunehmenden Jahren die Wertschätzung abgesprochen wird, aber einer, auf den sie selbst Einfluss nehmen können. Mit scheinbar zwei Optionen: Entweder man gibt sich der eigenen Unschönheit hin. Oder man greift ein, um zu erhalten, was gemeinhin als schön gilt.

 

Was mir an anderen Frauen auffällt ist nicht ihr Hals, sondern ihre Haltung

Doch das spiegelt kaum wider, wie facettenreich diese Zeit ist. Vor allem aber zeigt es mir nicht, was ich empfinde. Ich habe nämlich, vielleicht zum ersten Mal im Leben, nur wenig an mir auszusetzen und es kommt mir vor, wie es die große Schauspielerin Charlotte Rampling einmal beschrieb, dass ich in meinem Gesicht angekommen bin. Beim Anblick meiner tiefer werdenden Stirnfalten und meines langsam absinkenden Halses möchte ich zwar nicht direkt anfangen zu jubeln. Aber ich habe festgestellt, dass es keinen maßgeblichen Unterschied für meine Selbstbetrachtung macht, wenn alles glatter und straffer ist. Hab’s ausprobiert. Im Verlauf des Buchschreibens habe ich mir Botox spritzen lassen. Was so klingt, als sei es rein zu Recherchezwecken gewesen. In Wahrheit war ich einfach neugierig. Tatsächlich sah ich mit einer, Zitat Arzt, „Baby-Dosis“ Botox so aus, als hätte mein Gesicht ein Sabbatical vom Alltag bekommen. Es gab viele Komplimente, wie ungemein erholt ich aussehe. Auch mir gefiel das Ergebnis ästhetisch. Ich fand es nur zu befremdlich, dass ich das obere Drittel meines Gesichts über mehrere Monate nicht spüren konnte.

Wer weiß, wie ich das in ein paar Jahren sehe (für mich steht allerdings schon jetzt fest, dass jede Frau mit ihrem Gesicht anstellen soll, was sie für richtig hält). Aktuell bin ich jemand, der sich noch als Blondine sieht, dabei nichts gegen die ersten grauen Haare hat, die Falten kommen lässt, sie aber gerne frisch cremt. Und jemand, der nicht übersehen werden möchte. Denn das, was ich in anderen Frauen erkenne, die mir ein Vorbild sind, ist bemerkenswert. Ich sehe es in Isabelle Huppert, die jüngst über den roten Teppich in Cannes lief, flirtend und unglaublich sexy. Ich sehe es in jedem Video, das Isabella Rossellini von sich auf Instagram postet, stets in einem amüsant unvorteilhaften Winkel, aber dabei unübersehbar einnehmend. Ich seh’s in meinen Freundinnen, die zwar auch mal müde sind oder abgekämpft aussehen, vor allem aber lebensfroh wirken, warm, und, um ein Wort zu verwenden, das unserem Alter entspricht: Vital. So möchte ich mich selbst sehen, denn was mir an all diesen Frauen auffällt, ist nicht ihr Hals, sondern ihre Haltung. Wenn mir das gelingt, dann erkenne ich eines Tages in mir vielleicht auch das, was ich in meiner Mutter längst sehe: Ein ganzes Leben. Das wäre eine gelungene Überraschung.

 

marlenesoerensen.com

 

 

     

 

 

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